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#Projekt1930 und eine Entscheidung

So ein fertiges Buch ist ja trügerisch. Die Story steht, die Ecken und Kanten sind ausgebügelt, die Charaktere haben über die Schreibzeit getan, was sie eben getan haben und der:die Autor:in hat alle ihre Entscheidungen längst getroffen. 

Von der anderen Seite sieht das anders aus: Ein elends langer Prozess liegt noch vor mir und einige grundlegende Entscheidungen stehen noch aus. Zum Beispiel die Frage nach der Erzählform und der Perspektive. Und ja, ich dachte auch, dass das doch an sich total klar ist: „Sie ging die Straße runter“ – ein personaler Erzähler schaut von außen auf die Figur und wir verfolgen Lisbeth und Gustav mit diesem leicht distanzierten Blick von außen durch die Story. Klassisch im Präteritum, also Erzählvergangenheit. So wie wir Menschen „von Natur aus“ Geschichten erzählen. Allerdings geht das auch anders und ein paar Fingerübungen ließen mich nachdenklich werden … Es folgt eine Szene in vier unterschiedlichen Varianten. Sie ist nicht perfekt und sicher keine Szene, die genau so im fertigen Buch auftauchen würde, es ist nur eine Fingerübung, quasi frisch vom Schreibtisch.

Option 1
Die Zeit zog sich ewig hin, wie ein Tefifon-Band in der Sonne. Die Gedanken in ihrem Kopf rasten und beides zusammen war für Lisbeth unerträglich. Nervös knibbelte sie mit ihren kurzen Fingernägeln am Saum ihres Mantels. Wie lange konnte ein einzelner Mensch bloß telefonieren? Gut, sehr lange, wie sie aus der Arbeit wusste. Egal. Wie lange konnte ihr Onkel bloß am Stück telefonieren. So wichtig konnte doch kein Gespräch mit irgendwelchen Politikern sein.
Lisbeth spürte ein Kribbeln im Nacken und schaute auf. Die Sekretärin, die keine drei Meter entfernt von ihr hinter ihrem Schreibtisch saß, hatte aufgehört, zu tippen. Sie starrte Lisbeth direkt an. Das Blut schoss Lisbeth ins Gesicht, ihre Wangen glühten. Sie bemerkte, wie ihr rechtes Bein unentwegt wippte und zwang sich dazu, stillzuhalten. Mit schmalen Lippen und einem hoffentlich entschuldigenden Gesichtsausdruck blickte sie hinüber und erntete ein finsteres Nicken.
Ihr Blickkontakt riss jäh ab, als Lisbeth vom lauten Knacken neben ihr zusammenfuhr. Die Tür ging auf und ihr Onkel blickte sie verwundert an.
»Was machst du denn hier?«
»Ich muss mit dir sprechen, Onkel Bernhard.«
»So? Mitten am Tag?«
»Es ist wichtig. Wirklich …« Lisbeth hörte selbst, wie flehend ihre Stimme klang. Sie schaute ihrem Onkel direkt in die Augen. Seine Augenbrauen zuckten.
»Fräulein Ammermann, wenn Herr Michaelis eintrifft, lassen Sie ihn bitte ein paar Minuten warten.« Er nickte der Sekretärin zu und machte Lisbeth Platz. Sie sprang auf und eilte an ihm vorbei in sein Büro.

Option 2
Lisbeth sitzt im Vorzimmer ihres Onkels. Die Zeit zieht sich wie ein Tefifon-Band in der Sonne. Ihre Gedanken rasen. Nervös knibbelt sie mit ihren kurzen Fingernägeln am Mantelsaum. Sie muss ihren Onkel warnen und nicht doof auf der anderen Seite einer einzelnen Türe hocken. Wie lange kann er denn bloß telefonieren? So wichtig kann doch kein Gespräch mit irgendeinem Politiker sein.
EinKribbeln im Nacken lässt sie hochblicken. Das Tippen ist verstummt. Sie Sekretärin schaut sie über ihren Schreibtisch hinweg direkt an. Lisbeth bemerkt, wie ihr rechtes Bein wippt und zwingt sich dazu, es stillzuhalten. Sie schaut zurück, gibt sich Mühe, ein entschuldigendes Gesicht zu machen. Sie ist unsicher, ob es funktioniert hat, denn sie erntet nur ein finsteres Nicken.
Neben ihr knackt es laut und Lisbeth schreckt hoch. Die Tür schwingt auf und ihr Onkel steht in dem entstandenen Spalt. Verwundert schaut er sie an.
»Was machst du denn hier?«
»Ich muss mit dir sprechen, Onkel Bernhard.«
»So? Mitten am Tag?«
»Es ist wichtig. Wirklich …« Sie hört sich selbst sprechen, ihre Stimme klingt flehender, als sie beabsichtigt hatte. Lisbeth schaut ihrem Onkel in die Augen. Seine Augenbrauen zucken nach oben.
Er nickt der Sekretärin zu. »Fräulein Ammermann, wenn Herr Michaelis eintrifft, lassen Sie ihn bitte ein paar Minuten warten.«
Dann tritt er endlich einen Schritt zurück und macht Platz. Lisbeth springt auf und eilt an ihm vorbei in sein Büro.

Option 3
Ich sitze auf einer harten Holzbank und frage mich, ob die Häkeldecke auf dem Tischchen unter der Blumenvase wohl von der Sekretärin gemacht wurde. Die Zeit zieht sich wie ein Tefifon-Band in der Sonne. Ich kann nicht klar denken, das Warten macht mich mürbe. Der Mantelstoff ist ein bisschen kratzig zwischen meinen Fingern. Wie lange dauert es denn noch? Wie lange kann ein einzelner Mensch bloß telefonieren? So wichtig kann doch keiner dieser Politiker sein.
Irgendwas ist anders. Es ist so still. Das Tippen hat aufgehört. Ich spüre ihren Blick auf mir und schaue hoch. Die Sekretärin meines Onkels schaut mich finster an und jetzt bemerke ich es auch. Mein rechtes Bein wippt. Es kostet mich fast übermenschliche Stärke, es stillzuhalten. Als es mir endlich gelingt, schaue ich entschuldigend zu ihr hinüber. Ob sie es auch so auffasst? Sie nickt nur finster …
Ich schrecke hoch vom lauten Knacken, das die Tür beim Öffnen macht. Mein Onkel steht im Türspalt – den verwunderten Blick kenne ich.
»Was machst du denn hier?«
»Ich muss mit dir sprechen, Onkel Bernhard.«
»So? Mitten am Tag?«
»Es ist wichtig. Wirklich …« Verdammt, das klingt flehender, als es sollte. Ich schaue ihm direkt in die Augen um ihm zu zeigen, dass ich es wirklich ernst meine. Seine Augenbrauen zucken in die Höhe und er nickt der Sekretärin zu.
»Fräulein Ammermann, wenn Herr Michaelis eintrifft, lassen Sie ihn bitte ein paar Minuten warten.« Er tritt einen Schritt zurück und macht mir Platz. Endlich! Ich springe auf und haste an ihm vorüber in sein Büro.

Option 4
Ich saß in seinem Vorzimmer auf einer harten Holzbank. Die Zeit zog sich wie ein Tefifon-Band in der Sonne und meine Gedanken kreisten. Ich musste meinen Onkel warnen. Stattdessen saß ich zwischen der Sekretärin an ihrem Schreibtisch und einem Tischchen mit Blumenvase und Häkeldecke fest. Wieso dauerte das so lange? Wie lange konnte ein einzelner Mensch telefonieren? So wichtig konnte doch kein einziger dieser Politiker sein.
Plötzlich war es still, das Tippen hatte aufgehört. Ich spürte ihren Blick auf mir und schaute hoch. Ihr finsterer Blick bohrte sich in meinen Kopf. Da bemerkte ich, wie mein rechtes Bein wippte. Ich musste mich anstrengen, es stillzuhalten. Als es endlich stillstand, schaute ich sie entschuldigend an. Ich glaube nicht, dass es funktionierte, denn sie nickte mir nur finster zu.
Das Knacken der Tür ließ mich hochfahren. Mein Onkel stand im Türspalt und schaute mich verwundert an.
»Was machst du denn hier?«
»Ich muss mit dir sprechen, Onkel Bernhard.«
»So? Mitten am Tag?«
»Es ist wichtig. Wirklich …« Meine Stimme klang flehender als sie sollte. Ich schaute meinem Onkel direkt in die Augen. Seine Augenbrauen zuckten nach oben.
»Fräulein Ammermann, wenn Herr Michaelis eintrifft, lassen Sie ihn bitte ein paar Minuten warten.« Endlich trat er einen Schritt zurück und machte mir Platz. Ich sprang auf und hastete an ihm vorbei in sein Büro.

Tja. Gar nicht so einfach, sich für eine Variante zu entscheiden. Zwei davon ließen sich besser schreiben als die anderen zwei und sind deswegen jetzt in der näheren Auswahl. Aktuell bin ich noch am Szenenplan, aber bald sollte ich mich für eine Variante entscheiden. Es ist ja nicht so, dass man nicht später noch wechseln und alles bis dahin passend umarbeiten kann.

Wie hättet Ihr Euch entschieden?

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