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Social-Media Grundsätze: In bezahlte Werbung investieren?

Nach allen Posts zu Social-Media-Grundsätzen der letzten Tage bleibt die Frage: Sollte man in bezahlte Social-Media-Werbung investieren?

Diese Frage hat keine einfache Antwort. Ich könnte jetzt einfach „Nein.“ schreiben, weil es meinen Überzeugungen widerspricht, den Plattformen, die uns ohnehin schon ausnehmen, auch noch bares Geld hinterherzuwerfen, aber tatsächlich kommt es voll auf Euer Businessmodell und Eure Vertriebswege an. Wenn Ihr die letzten 15 Jahre damit verbracht habt, eine Followerschaft auf Facebook und/oder Instagram aufzubauen und in zwei Monaten Euer neues Buch oder Album rauskommt, dann habt Ihr wenig andere Optionen, als die beiden Plattformen Eurer Wahl dafür zu bezahlen, dass sie Eure Inhalte an Eure Followerschaft ausspielen. Ihr und Euer Businessmodell seid von diesen Plattformen abhängig und wenn Ihr nicht nach deren Spielregeln spielt, dann sehen halt nur ein paar Leute, was Ihr postet.

Zielgruppen bestimmen

Zielgruppen kann man sich jetzt so schwammig oder so detailliert definieren, wie man will, bis runter zu einer Zielgruppe von 1, also dass es wirklich nur noch auf eine einzige Person zutrifft. Ich will gar nicht näher darauf eingehen, wie Ihr das ageht, dazu findet Ihr detaillierte Anleitungen im Netz bei verschiedenen Werbespezialist:innen.
Ich persönlich halte davon gar nichts, weil sowohl die Erhebung der Informationen, die zur Einordnung von Menschen in Zielgruppen führt, sowie die tatsächliche Zuordnung in meinen Augen höchst unethisch passieren. Warum, das findet Ihr einerseits im Post zur Funktionsweise der Social-Media-Algorithmen, sowie in der Podcastfolge mit Ingo Dachwitz von netzpolitik.org über die 650.000 Werbekategorien der Microsoft Werbemarktplatzes Xandr. Dazu hat er auch einen langen Artikel geschrieben, den ich sehr empfehlen kann.

Bekommen Posts durch Bezahlung wirklich mehr Reichweite?

Klares jein. Ich zitiere hier aus Cory Doctorws „The Internet Con: How to Seize the Means of Computation“ (Übersetzung von mir):

Viele haben festgestellt, dass die Facebooks Kunden nicht die Nutzer:innen sind, die auf der Plattform zusammenkommen, sondern die Werbetreibenden, die Geld dafür bezahlen, diese Nutzenden zu erreichen. „Wenn du nicht für das Produkt bezahlst, bist du das Produkt“ heißt es und soll erklären, warum Facebook seine Nutzer:innen so schlecht behandelt.

Aber als Kunde von Facebook – als Werbetreibende:r oder sogar Publisher – heißt das nicht, dass man vom Konzern besser behandelt würde. Immer wieder wurde das Unternehmen erwischt, wie es Werbetreibende bestahl, und seine Aufzeichnungen darüber fälschte, wem es wie lange ihre Anzeigen angezeigt hätte. Mindestens die Hälfte der Anzeigen, für die Werbetreibende Facebook bezahlen, um sie seinen Nutzern zu zeigen, werden tatsächlich von keinem einzigen Menschen gesehen – trotzdem stellt Facebook sie den Werbetreibenden in Rechnung.

Das Gleiche gilt für die Publisher, deren kommerziell aufbereitete Berichte, Meinungen und Reportagen der Grund sind, dass Facebook-Nutzer:innen überhaupt auf der Plattform sind.

Cory Doctorow: The Internet Con, 2023

Wenn Ihr Facebook/Meta dafür bezahlt, dass Ihr mehr als die realistisch geschätzten 15-20 % Eurer Followerschaft mit einem Post erreicht, dann kann es also gut sein, dass die Hälfte Eures Werbe-Gelds ohne Gegenleistung direkt in die Taschen des Konzerns wandern.

Vielleicht wird es Zeit, das Konzept des Social-Media-Marktetings grundsätzlich zu überdenken, gerade als Kreative und vielleicht auch Klein-Verlage und Label, die jeden Pfennig dreimal umdrehen müssen. Nicht alles ist einfach mit Geld zu erschlagen.

Social-Media-Werbung ablösen

Insgesamt ist Social-Media-Werbung viel weniger interessant als es das vor vielleicht fünf Jahren noch war. Und auch große Firmen gehen mittlerweile zu anderen Werbeformen über wie beispielsweise Influencer-Marketing. Übertragen sind wir also eigentlich wieder da angekommen, wo Leute am Straßenrand stehen und Dinge rufen …

Jetzt ist es für Kreative nicht unbedingt der naheliegendste Weg, Influencer:innen zu gewinnen, die dann die eigenen Werke promoten. Aber – mit einem Rückgriff auf den Post zur Reichweite und der Überlegung da zu sein, wo die Zielgruppe ist – ja genau, dort sein, wo es die Leute wirklich interessiert und nicht dort, wo man Geld einwerfen soll, um einen Bruchteil von möglicherweise Interessierten vielleicht zu erreichen.

Es gibt mit Mastodon.art einen Mastodon-Server, auf dem vor allem Indie-Kreative sind, die dort immer wieder ihre aktuellen Werke herzeigen. Und weil Mastodon und das Fediverse soziale Social-Media sind, sind dort Menschen an Menschen und dem interessiert, was diese Menschen machen. Und es funktioniert für die Kreativen dort.

Alternativ – oder auch zusätzlich! – ist die Zusammenarbeit mit Blogger:innen eine gute Möglichkeit, an Menschen zu geraten, die wirklich an uns und unseren Werken interessiert sind und über deren Reichweite unsere Inhalte an Menschen kommen, die einen Faible für das haben, was wir tun.

Insgesamt können wir sicher sagen, dass sich die Welt weitergedreht hat und was gestern funktionierte, geht heute vielleicht nicht mehr und wird morgen schon veraltet sein. Wie war das Zitat? „Entweder man geht mit der Zeit oder man geht mit der Zeit.“ (Wenn ich jetzt noch wüsste, von wem es war.) Das nächste Social-Media-Wasserloch ist mit dem Fediverse schon in Sicht. Solange kein rechtsaußen-schwurbelnder Tech-Milliardär wie Musk oder Dorsey daherkommt und ein ganzes Netzwerk an die Wand fährt (oder es gerade erst hochjubelt), ist es keine Aktion, die von heute auf morgen passieren muss. Aber sich mit dem Gedanken abfinden, dass es so nicht weitergeht und nach dem Drüberschlafen vielleicht mal schauen, welche Blogs es denn zu dem Thema gibt, über das man gerade schreibt, ist sicher im Vergleich zur Recherche nach einer passenden Zielgruppendefinition eine gut investierte Zeit. Und die Einladung ins Fediverse ist ohnehin immer offen, beispielsweise zu literatur.social.

Bildet Banden

Last not least: Tut Euch mit anderen zusammen und bewerbt Euch gegenseitig. Newsletter-Tausch, Werbung für die Bücher der Autorin, die über ähnliche Themen schreibt wie Ihr gegenseitig hinten in die Backmatter geben, Gast-Artikel in Euren Blogs oder ganze Blogparaten – die Älteren werden sich erinnern … Es gibt so viele Möglichkeiten. Und wenn wir uns zusammentun, dann können wir viel erreichen. Niemand ist zu klein, um einen Unterschied zu machen.

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