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Offener Brief an die Mitglieder des Europäischen Parlaments betreffend Urheberrechtsreform

Der folgende Brief ging am 17. Februar per eMail an jene deutschen Mitglieder des EU-Parlaments, die in dieser Woche FÜR die Urheberrechtsreform gestimmt hatten plus diejenigen, die bei der Abstimmung nicht anwesend waren.

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Sehr geehrte Damen und Herren Mitglieder des Europäischen Parlaments,

mein Name ist Klaudia Zotzmann-Koch, ich bin Autorin, Projektmanagerin im Bereich Webentwicklung, Datenschutzexpertin und seit 2016 als in Österreich lebende Deutsche im Vorstand des Chaos Computer Clubs Wien sowie Hauptorganisatorin der PrivacyWeek hier vor Ort.

Zunächst einmal herzlichen Dank, dass Sie als gewählte Volksvertreter den sicher nicht einfachen Job machen.

Bezüglich der Urheberrechtsreform möchte ich Sie bitten, sich Ihre Entscheidung noch einmal zu überlegen – und hier wende ich mich als direkt Betroffene an Sie. Die Reform bringt mir weder als Verlagsautorin noch als Selfpublisherin irgendwelche Vorteile, im Gegenteil.

Die Verlage profitieren, nicht die Urheber*innen

Entgegen dem EUGH Urteil von 2015, dass Verlage nicht berechtigt sind, Anteile aus der VG Wort Ausschüttung zu kassieren, wurde dies nun offenbar durch deren Lobbyisten reinreklamiert, wenn ich die Aussendung der VG Wort noch in der Nacht der Abstimmung richtig deute – was weniger Geld für mich als einzelne Autorin bedeutet. Dieses Geld, das von der Verwertungsgesellschaft für die eigentlichen Urheber*innen eingesammelt wird, bleibt bei den Verlagen hängen und wird nicht an die Autor*innen weitergegeben. Hier besteht ein konkreter Nachteil für mich als Urheberin. Ohnehin ist das Vergütungsmodell bei Verlagsverträgen so, dass von den € 12,50, für die ein Buch von mir im Handel verkauft wird, bei mir € 0,80 (ca. 6%) ankommen. Da sind die VG Wort Einnahmen ein wichtiger und notwendiger Teil des Einkommens von Autor*innen.

Selfpublishing wird durch die Reform schwieriger

Im Bereich Selfpublishing übernehme ich alle Aufgaben, die sonst ein Verlag übernimmt, also auch die Werbung, die ich als Verlagsautorin und Nicht-Zugpferd ohnehin auch dort selber machen muss. Werbung läuft heutzutage zu 99% über das Internet, da man mit dem konkreten Werk den gesamten deutschsprachigen Markt abdecken möchte. Hier möchte ich nun Leseproben, Auszüge und Gratistexte weit verbreiten, um den Menschen meine Werke näherzubringen und mein Publikum zu erreichen. Ich möchte auch in langen Stücken zitiert werden können, ohne dass da Bürokratie oder technische Hürden dazwischen kommen. An dieser Stelle kommen sowohl Leistungsschutzrecht (»sehr kurze Textschnipsel«) als auch Uploadfilter ins Spiel.

Technische Umsetzung ist urheberfeindlich

Es gibt viele Beispiele von Urheber*innen, die ihre eigenen Werke dank bereits bestehender Uploadfilter, z.B. Google Content ID, nicht hochladen konnten, prominentes Beispiel: Justin Bieber. Zum Einen, weil die jeweiligen Verlage bzw. Musiklabels die Rechteinhaber und die Inhalte damit gesperrt sind, zum anderen weil die Fehleranfälligkeit von Vergleichsalgorithmen (aka Uploadfilter) hoch ist und immer bleiben wird. Hier berufe ich mich auf meine Erfahrungen im Bereich Technikumsetzung – durch meine Arbeit als Projektmanagerin in der Webentwicklung sowie nicht zuletzt in den letzten vier Jahren im Chaos Computer Club.

Wir Menschen neigen dazu, der Technik zuviel zuzugestehen, was sie de facto nicht liefern kann. Dennoch gibt es offenbar einen tiefsitzenden Glauben, das Technik die (sozialen) Probleme unserer Welt lösen kann. Dabei ist jeder Algorithmus gerade einmal maximal so gut wie die »schlechteste« Person, die ihn trainiert hat – das schwächste Glied in der Kette. [1] In einem Blogpost [2] aus September 2018 hatte ich das folgende Rechenbeispiel aufgeführt:

„Uploadfilter mögen am Ende vielleicht zu 95 % akkurat laufen. Selbst wenn wir 99,8 % annehmen, kommt es hier auf das Verhältnis an. 99,8 % von angenommen 20 Milliarden Uploads weltweit pro Tag, da bleiben bei 0,2 % Fehlerquote 40.000.000, also 40 Millionen Fehler. Pro Tag. 40 Millionen Künstler*innen, die vielleicht ihre eigenen Texte/Musikstücke/Bilder nicht veröffentlichen können. 40 Millionen Familien, die vielleicht davon abhängen, dass dieses Stück an die Fans und Follower gelangt, damit auch im nächsten Monat die Miete bezahlt werden kann. Natürlich klingt 99,8 % nach viel und guter Trefferquote – solange man nicht zu den 0,2 %, also den 40 Millionen aus dem Beispiel zählt.“

Urheberrecht bis über den Tod hinaus

Justin Bieber hat es vielleicht nicht nötig Werbung für seine eigene Musik zu machen, die Durchschnitts-Autor*in schon. Die Frage ist, ob sie das kann, wenn die Rechte für das Werk bis 70 Jahre nach ihrem Tod bei einem Verlag liegen, wie es in den Standardverträgen vorgesehen ist. Jede*r Autor*in hat diesen Fehler vermutlich mindestens einmal begangen, einen Standardvertrag anzunehmen und hat somit mindestens ein Werk, mit dem sie selbst ihr Leben lang nie wieder etwas anfangen kann. Dabei liegt die durchschnittliche Verkaufszeit für Literatur bei vielleicht gerade mal zwei Jahren. Diese Ausdehnung des Urheberrechts bis 70 Jahre nach dem Tod (des letzten Bearbeiters/Übersetzers) ist meines Erachtens ebenfalls völliger Unsinn. Wenn die Urheber*innen noch während ihrer Lebenszeit gerecht vergütet würden und Geld zum Anlegen und Vererben da wäre, wäre allen deutlich besser geholfen und das Urheberrecht kann mit dem Tod der Urheber*in erlöschen.

Neues Geschäftsfeld für Google

Es hieß, die Urheberrechtsreform soll vor allem »die Großen« treffen. Konkret: Google. Vergessen Sie bitte kurz alles, was Sie bisher gehört haben, inklusive, dass alle, die sich gegen die Reform äußern, von Google geschickt wurden. Ich habe selbst keinerlei Verbindungen dorthin und möchte dies auch nicht. Ich vermeide Google Services, so gut es geht, inkl. Youtube und Android. Vergessen Sie einfach kurz alles aus dem Bereich. Grüne Wiese. … Ok. Wenn verpflichtende Uploadfilter für quasi alle Plattformen eingeführt werden, wie soll dies technisch umgesetzt werden? Kleine Plattformen haben voraussichtlich weder das notwendige Personal, Know-How noch das Geld, diese Filter selber zu bauen. Bleibt ihnen nur, entsprechende Lösungen von außen einzukaufen, also zu »lizensieren«. Technisch wird es am einfachsten sein, alle Uploads quasi durch einen Tunnel, ohne eine Möglichkeit, irgendwo abzubiegen, zu einem Anbieter zu schicken, der das Filtern vor der Veröffentlichung für die Plattform erledigt und die genehmigten Inhalte dann durch den Tunnel wieder zur Plattform zurück schickt. Alle Inhalte dieser Plattform, jedes einzelne Wort in einem Posting, gehen also zwangsläufig über die Server und Algorithmen des externen Anbieters. Sitzt dieser externe Anbieter in den USA, läuft der gesamte europäische Internetverkehr im Bereich Plattformen über amerikanische Server. Ich denke nicht, dass dies der Sinn der Sache sein kann, dass wir den gesamten europäischen Internetverkehr von amerikanischen Servern abhängig machen. Außerdem kommen wir in dem Fall in den Bereich, wo sich EU-Gesetzgebung mit der US-Gesetzgebung spießt.

Der CLOUD Act ist im Weg

Im März 2018 wurde in den USA der CLOUD Act [3] beschlossen. Kurz gesagt geht es darum, dass US Behörden (und jene befreundeter Staaten, wenn ich es recht verstanden habe) jederzeit Zugriff auf alle Daten auf Servern von in den USA tätigen Unternehmen haben, unabhängig davon, wo diese Server physisch stehen. Selbst wenn Microsoft anbietet, Daten auf Servern in Europa zu speichern, sind sie dort nicht vor Zugriff von US Behörden (oder Behörden, die dort anfragen) sicher. Dieses Gesetz steht bereits der DSGVO genau entgehen und mit der Urheberrechtsreform würden ggf. weitere Gesetze geschaffen, die sich mit dem Behördenzugriff der USA spießen. Jedes Unternehmen kann sich jetzt bereits aussuchen, gegen welches Gesetz es verstoßen möchte – im Falle eines in den USA ansässigen Unternehmens gegen das »Heimrecht« oder gegen das europäische Datenschutzrecht.

Kommen wir noch einmal zurück zu Google, ein US Unternehmen. Wir sind noch immer auf der grünen Wiese. Wird dieses eher gegen US-Recht oder gegen EU-Recht verstoßen wollen? In jedem Fall ist Google eine von sehr wenigen Firmen, die bereits Uploadfilter im Bereich Videos zur Verfügung hat und sowohl über das nötige Personal, die notwendigen Mittel und das Know-How verfügt, um Uploadfilter für alle anderen Bereiche zu bauen. Die Alternative dazu mit denselben Voraussetzungen wäre Facebook.

Europäische Plattformen sind zu schwach

Die europäischen Plattformen werden voraussichtlich die notwendigen »Tunnel und Filterdienste« bei Google oder wahlweise Facebook einkaufen, weil diese die einzigen sind, die entsprechende Technologien in einer angemessenen Zeit liefern können. Dadurch läuft der gesamte Plattformverkehr über Server von US-Unternehmen, die voraussichtlich eher wider EU-Recht handeln als gegen ihre heimischen US-Gesetze.

Hier treffen wir auf ein zentrales Problem, das wir schon seit einigen Jahren konkret haben: es gibt nahezu keine europäischen Alternativen zu quasi allem, was wir täglich verwenden. Von den Betriebssystemen unserer Computer und Telefone über unsere zentralen Kommunikationswege bis hin zu unserer Freizeitgestaltung im Netz.

Einfache Lösungen sind gefragt

Diese Woche twitterte Sven Schulze, dass im Sekundentakt eMails von Google Konten kämen, die großteils denselben Inhalt hätten [4]. Dies ist auch erklärbar, ohne einen Bot (Algorithmus, genauso wie Uploadfilter) dahinter zu vermuten. Wenn es Menschen einfach gemacht wird, beispielsweise mit einem einfachen Klick eine eMail zu schicken, um ihren Unmut auszudrücken, dann werden sie es tun. Wenige haben (oder nehmen sich) die Zeit, eine lange Mail wie diese hier zu verfassen. Außerdem haben sämtliche Android-Nutzer dieser Welt, die Apps aus dem Playstore laden, automatisch eine Gmail-Adresse, die automatisch verwendet wird, wenn man auf dem Android Telefon eine Mail verfasst bzw. automatisch durch einen Algorithmus verfassen lässt. Sven Schulze twitterte übrigens von Twitter for Android. Möglicherweise hat jemand auf einer Website einen Button hinterlegt, der automatisch das Mailprogramm auf dem Gerät anspricht, einen vorgefertigten Text in eine voradressierte eMail kopiert und die Nutzer*innen müssen nur noch auf »absenden« klicken. Solch einfache Lösungen gibt es und sie sind zeitgemäß. So einfach muss letztlich auch das Urheberrecht werden.

Fazit

Ja, wir brauchen dringend ein neues Urheberrecht. Aber das alte Verlagsmodell aus den maximal 1960er Jahren in das Internet zu pressen, statt dieses über den Haufen zu werfen und etwas Neues, ins Internetzeitalter Passendes aufzubauen, ist meines Erachtens keine Lösung. Zur Erinnerung: 80 Cent von € 12,50 – da ist ein enormer Fehler im System, der bei der Gelegenheit dringend beseitigt werden muss.

Ich bitte Sie, die Urheberrechtsreform noch einmal zu überdenken. Für mich als Urheberin macht es alles nur schlimmer, nichts besser.

Mit freundlichen Grüßen,
Klaudia Zotzmann-Koch

Quellen und weitere Informationen

[1] https://www.datenschutz-podcast.net/podcast/ds030-bias-in-algorithmen/
[2] https://www.viennawriter.net/blog/urheberrecht-again/
[3] https://www.congress.gov/bill/115th-congress/senate-bill/2383/text
[4] https://twitter.com/schulzeeuropa/status/1096445520770404352
[5] https://www.viennawriter.net/blog/offener-brief-an-die-mitglieder-des-europaeischen-parlaments-betreffend-urheberrechtsreform

Sie finden diesen offenen Brief auch als Blogpost in meinem Autorinnenblog viennawriter.net [5]

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