Das Fediverse, Meta und das Toleranzparadoxon

[English version]

Ein unüberwindbarer Graben zwischen den Ideologien?

Wer sich gerade überlegt, doch nicht ins Fediverse zu wechseln, weil der Facebook-Konzern Meta ohnehin einen Anschluss an das freie Netzwerk plant, könnte enttäuscht werden. Denn ganz so einfach wird es voraussichtlich nicht werden. Die beiden, vielleicht tatsächlich unvereinbaren Positionen sind folgende:

Meta und das Metaverse

Der Facebook-Konzern Meta hat angekündigt, das Metaverse sein zu lassen und sich stattdessen völlig auf KI zu konzentrieren. Da sehen sie die Zukunft – für sich als Konzern mit 23 Milliarden Dollar Gewinn im Jahr 2022. „Der Umsatz von Meta (ehemals Facebook) sank im Jahr 2022 um rund 1,32 Milliarden US-Dollar auf rund 116,6 Milliarden US-Dollar. Das Unternehmen schreibt weiterhin schwarze Zahlen und konnte für das Jahr 2022 einen Gewinn in Höhe von rund 23,2 Milliarden US-Dollar ausweisen.“ (Quelle: Statista)
In dezentralen Plattformen sieht Meta die größte Gefahr für ihr Geschäftsmodell, das darauf ausgerichtet ist, Menschen möglichst lang auf ihren Seiten Facebook, Instagram und dem Dienst WhatsApp zu halten, um sie möglichst genau „kennenzulernen“ (kategorisieren zu können) und ihnen daraufhin möglichst viel Werbung anzeigen zu können. Denn, wer zahlt für die zigtausenden Angestellten und die ganzen Serverfarmen? Nicht die Nutzenden, sondern die großen Werbekunden. Wofür zahlen die? Dass sie Werbung an möglichst dafür anfällige Personen ausgespielt kriegen. Facebook ist also (genau wie Google und andere) eine Werbefirma, die von Konzernen bezahlt wird, um die Nutzenden mit manipulativen Botschaften zu bespielen. Um das tun zu können, hat Meta Milliarden investiert um rauszufinden, wie wir denken, wie wir klicken, wie wir kommunizieren, wann und mit wem wir das tun, wann nicht (wann wir schlafen) und so weiter. Und deren Algorithmen sind verdammt gut darin, uns möglichst unmerklich dazu zu bringen, das zu tun, was die Werbetreibenden von uns wollen. (Mehr dazu in der Doku des Centers for Humane Technology: The Social Dilemma)

Frei und föderiert: Das Fediverse

Dagegen steht seit einigen Jahren das Fediverse mit seinen vielen unterschiedlichen Plattformen und kleineren und größeren Communities, die alle miteinander reden (föderieren).

Nehmen wir als Beispiel Mastodon und das stellt Ihr Euch am besten ein bisschen vor wie eMail: Alles läuft nicht auf einer zentralen Serverinfrastruktur, sondern jeder kann einen eigenen Server betreiben. Und die reden alle miteinander. Also, egal, wo man den eigenen Account hat, man kann mit allen anderen kommunizieren. Die Domain vom Server, wo man den Account hat, wird zum Teil des Nutzernamens (wie bei eMail) und so wird man in dem ganzen Netzwerk dann gefunden.

Der Clou ist, das geht nicht nur innerhalb von Mastodon, sondern auch darüber hinaus auf allen anderen Fediverseplattformen. Posts von Accounts, denen man folgt, kommen alle in die eigene Timeline rein, egal, ob der Account auf einem anderen Mastodon-Server liegt, auf einem Pixelfed-Server (sowas wie Instagram), auf einem Mobilizon-Server, MissKey, CalcKey oder was auch immer. Weil sie alle dasselbe Protokoll sprechen: ActivityPub.

Um bei Mastodon zu bleiben, das hat ein ganzes Teil Designentscheidungen bewusst anders getroffen, als Facebook, Instagram, (früher auch Twitter), etc.. Das fiel auch Neuankömmlingen auf, die nach der Twitter-Übernahme durch Elon Musk zu Mastodon wechselten.

  • Alle Posts sind streng chronologisch in der Timeline.
  • Es gibt keine Empfehlungsalgorithmen, die Post „überschreiben“ (Shadowbanning).
  • Es gibt in der Timeline keine Info darüber, wie oft ein Post geteilt oder gelikt wurde. Diese Informationen sieht man erst, wenn man den Post in der Einzelansicht öffnet.
  • Dadurch sind alle Posts in der Timeline gleich wichtig, von der Tagesschau genauso, wie das Hundebild eines Freundes.
  • Es gibt keine Möglichkeit, bezahlte Werbung zu schalten.
  • Wenn es bei einem Post einen „Hype“ gibt oder etwas „viralgeht“, dann weil Menschen die Inhalte wirklich interessant finden, nicht , weil Ihr dafür bezahlt habt.
  • Es gibt keine Algorithmen, die viel geteilten Posts einen extra Anschub geben und damit auch viel weniger Empörungsverstärker.
  • Es gibt keine Benachrichtigungen, wenn jemand eine Antwort auf einen eigenen Post likt.
  • Daraus folgt eine viel entspanntere Gesprächsatmosphäre und dass die Menschen im Fediverse einen echten Austausch auf Augenhöhe haben und diesen auch sehr schätzen.
  • Besucher brauchen keinen Account, um Eure öffentlichen Posts zu sehen. Was öffentlich gepostet wurde, ist öffentlich.
  • Es ist vorgesehen, dass man von einem Server zum nächsten umziehen kann, da gibt es eine Funktion im Account dafür.
  • Insgesamt kann man sagen, Mastodon ist so designt, dass die Plattform den Menschen dient und nicht die Menschen den finanziellen Interessen eines multimilliardenschweren US-Konzerns.
  • Es gibt auch keinen Lock-In-Effekt, da die Plattformen im Fediverse grundsätzlich viel freier konzipiert sind.

Der „Streit“

Der BR schrieb: „Kleinlich“: Wird das Fediverse Meta ausschließen?, wobei das „Kleinlich“ ein Zitat des US-Techbloggers und -Podcasters John Gruber ist, der, wie einige Tech-Dudes, gerade ätzt, weil sich Mastodon- und andere Fediverse-Admins zusammentun, um eine Föderation mit Meta zu verhindern:

Masto zealots: We’re open, federate with us!

Instagram: Great, we’re building a new thing to join you.

Masto zealots: Not that kind of open!

Not That Kind of ‘Open’

Auch einige deutschsprachige Tech-Dudes wollen den US-Konzern am liebsten mit offenen Armen im Fediverse empfangen sehen. Einige wie Sascha Lobo wohl aus Prinzip, andere, weil sie sagen, dass es dem Fediverse einen Schub geben würde, wobei die Frage ist, warum Menschen mit dieser Einstellung ein freies Netzwerk nutzen. Und es ist die Frage, in welche Richtung so ein Schub gehen würde. Ein Schubs die Treppe runter ist auch ein Schub.

David Revoy: „Meta: „MAY I JOIN YOU?““; Creative Commons Attribution 4.0

Die Problempunkte

Ganz oben haben wir wir die Probleme im Bereich Datenschutz. Die offenen Fragen hier sind, wie die Föderierung ausgestaltet werden soll, ohne dass Meta alle Informationen über alle Nutzenden eines Fediverse-Servers abschnorcheln und die in ihren Datenkorpus einverleiben kann. Natürlich inklusive möglicher Auswertung und Weiterverwendung innerhalb ihres Businessmodells, insbesondere wenn Menschen keine Nutzenden eines Meta-Service sind, dem ausdrücklich widersprechen und auch ihre Fediverse-Profile nicht als Zubrot für die Schattenprofile sehen will, die Meta von allen Menschen führt.

Die nächste Frage ist, wie Meta ihr auf Werbung und Auswertung jeder Mausbewegung einer Person ausgelegten Geschäftsmodell in den föderierenden Dienst etwa ausbauen möchte. All die oben genannten Designentscheidungen sind bei Meta aufgrund deren Businessmodell anders. Alles, was Meta bietet, ist auf Maximierung der Verweildauer der Nutzer:innen optimiert. Es geht bei allem, was Meta tut, um Growth-Hacking, Gewinn- und Werbeklick-Optimierung. Einen kompletten Neuanfang ohne Verbindung zur bisherigen Struktur der Meta-Services sehe ich persönlich ja nicht kommen.

Daher stellt sich mir als Mastodon-Adminette und Moderatorin die Frage: Wie soll das zusammenpassen? Wie sollen wir mit Meta föderieren, ohne ihnen unsere Nutzenden auszuliefern?

Die Businessmodelle von Meta und dem Fediverse sind schlicht nicht vereinbar; falls man beim Fediverse überhaupt von einem Businessmodell reden kann. Denn während der US-Konzern ganz calvinistisch auf Geldvermehrung aus ist und alles dafür tut, von allen dafür Geld nimmt, die Nutzer:innen zu manipulieren und insgesamt wenig Ethik an den Tag legt, steht dem gegenüber ein ganzes Netzwerk an freien Plattformen, die von Freiwilligen, von Stadtverwaltungen, Öffentlich-Rechtlichen, von Universitäten und Vereinen betrieben werden und in der Überzahl durch Spenden und freiwillige Zahlungen finanziert sind.

Toleranzparadoxon

Es geht viel weniger um „Meta ist ein böser US-Konzern und darf nicht mitspielen“, was aus der Tech-Dude-Bubble aktuell gerne unterstellt wird, sondern um unvereinbare Grundprinzipien in der Gestaltung der Plattformen und der Businessmodelle.

Vielleicht kann man es am besten mit dem Toleranzparadoxon erklären. Das Fediverse wurde erfunden, um eben genau nicht zu sein wie die algorithmengesteuerten SocialMedia-Plattformen, sondern als echte soziale Plattform, die den Menschen dient. Und genau, wie eine Gruppe nur dann weiter tolerant sein kann, wenn sie Intolerante ausschließt, kann ein Netzwerk auch nur dann frei bleiben, wenn es sich alles einverleibende Anbieter ausschließt.

Das Fediverse ist ein Netzwerk, das auf echten sozialen Werten beruht. Es wurde nicht für Konsument:innen, sondern für gleichberechtigte Teilnehmende gestaltet. Wenn aber ein offenes und tolerantes Netzwerk intolerante Player toleriert, wird es ein intolerantes Netzwerk werden.

Das Fediverse ist schon offen. Für Menschen, die Plattformen bauen, die dieselben oder wenigstens verträgliche Prinzipien verfolgen. Gegen eine Ausbeutung des freien Internets durch Konzerne hingegen, müssen wir uns zur Wehr setzen, wenn wir überhaupt noch eine Chance auf ein freies, unabhängiges Internet haben wollen.

Ähnliche Beiträge

8 Kommentare

  1. Vielen Dank für diese schlüssige Argumentation! Ich würde sehr gern eine englischsprachige Version in meiner Blase verbreiten – wäre es möglich, eine solche bereitzustellen? LG

  2. Wunderbar zusammengefasst, vielen Dank! Besonders das Toleranzparadoxon ist mir in dem Zusammenhang wichtig – darüber wird nach meinem Geschmack in diesem Zusammenhang noch zu wenig geschrieben.

  3. Liebe Klaudia,
    ich habe eben mal wieder in mein Mastodon-Konto geschaut, das ich mal eröffnet habe und heute zum Auftakt gleich zwei Posts getrönt. Was kannst Du mir empfehlen, um zu verstehen wie Mastodon funktioniert und was ich am Besten mache, um da reinzukommen?
    Außerdem habe ich dein automatisch erzeugtes Hörbuch entdeckt. Ein Hörbuch wäre auch mein Traum von meinem Buch „Der Vagabundenblog: Vom Leben ohne Geld“. Wie hast Du das gemacht?
    Danke für Dein Engagement in Sachen Alternativmedien. Obwohl ich insgesamt recht alternativ drauf bin, habe ich bisher noch nicht so recht den Zugang dazu gefunden, aber das wird schon noch…
    Liebe Grüße Silvia Fischer

    1. Mein Vorschlag zum Ankommen im Fediverse ist, erstmal das Profilbild und die Bio ausfüllen und sich danach die lokale Timeline der Instanz etwas nach interessanten Accounts umzuschauen. Bei denen dann in der Freundesliste zu stöbern und weiteren Accounts zu folgen. Das Fediverse funktioniert auf Augenhöhe und Gespräche sind höchst erwünscht. Also nicht nur folgen, sondern gern mit Menschen ins Gespräch kommen. So wird die eigene Timeline flink bevölkert. Und vor allem, wenn auch verspätet, willkommen im Fediverse!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert